Immer mehr Marketer beschäftigen sich mit der „Customer Journey“, der Entscheidungsreise ihrer Kunden. Und das zu Recht, denn das Kundenverhalten hat sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Wir im Marketing sollten unsere Aktivitäten danach ausrichten, um die Kunden im richtigen Moment mit den passenden Botschaften ansprechen zu können.
GESCHRIEBEN VON
Marketing entlang der Customer Journey: Einstieg für KMUs
Geschrieben von Dr. Sabine Holicki
Ein Beispiel
Brauchte ich früher eine neue Waschmaschine, dann ging ich in der Regel zu einem Händler, der mir ein Produkt empfahl. Vielleicht zu dem Händler mit dem gut gestalteten Schaufenster – oder dem mit der auffälligen Radiowerbung – oder dem mit den wöchentlichen Angebots-Prospekten. Der Handel war jedenfalls der „Gatekeeper“ zwischen mir und meiner neuen Waschmaschine. Gewonnen hatte derjenige, den ich im Moment des Bedarfs auf der Agenda hatte.
Heute würde ich zuallererst im Internet recherchieren: Welche Waschmaschinen gibt es überhaupt? Worauf sollte ich achten? Was passt zu mir und meinen Anforderungen? Dann schaue ich mir natürlich die Bewertungen an und sehe, welche Erfahrungen andere damit gemacht haben, Leute wie ich. Damit ist mein Entscheidungsprozess schon fast abgeschlossen – und erst jetzt suche ich einen Händler, der mir das Gerät nur noch möglichst günstig verkauften soll.
Könnte der Händler doch bloß rechtzeitig erkennen, dass ich nach einer Waschmaschine suche! Dass ich nach bestimmten Produktmerkmalen schaue und wissen will, welches Gerät zu mir passt. Und könnte er sich da einklinken und mir im richtigen Moment mit wertvollen Informationen weiterhelfen. Wie stark stiegen seine Chancen, am Ende auch den Verkaufsabschluss mit mir zu machen!
Und genau da sind wir bei der (digitalen) Customer Journey.
Erfahrungsreise des Kunden
Customer Journey Marketing ist weniger ein Werkzeug als ein Denkmodell. Die „Journey“ veranschaulicht den Kaufentscheidungsprozess als eine Reise, bei der der Kunde an verschiedenen Stationen („Touchpoints“) vorbeikommt und dabei unterschiedliche Erlebnisse mit der Marke oder dem Unternehmen erfährt. Je nachdem, geht seine Reise weiter, er macht Schleifen und Umwege oder bricht ganz ab.
Denkt man an Kaufentscheidungen, lassen sich fünf Phasen der Customer Journey unterscheiden:
- Aufmerksamkeit für ein Produkt
- Interesse
- Informationssuche
- Kaufentscheidung
- Nutzung/Teilen von Erfahrungen
Darüber hinaus gibt es aber viele andere Journeys, z. B. bei Reklamationsprozessen, Vertragsverlängerungen, Abbestellungen oder auch Bewerber-Journey im Recruiting.
Sich mit der Customer Journey zu beschäftigen, zwingt das Marketing in die Perspektive des Kunden. Wir sind dadurch in der Lage, aus dessen Perspektive auf unser Angebot, unsere Kommunikationskanäle und Botschaften zu blicken. Wie steigt man auch als kleineres Unternehmen in das Thema ein, um es für das eigene Marketing zu nutzen?
Am Anfang steht die Touchpoint-Analyse
Solche Momente können das Markenerlebnis des Kunden mehr oder weniger stark prägen. Manche können, wenn es gut läuft, den Kunden nachhaltig begeistern, wenn es aber schlecht läuft, die Kundenbeziehung dauerhaft ruinieren. Dies sind die sog. „Moments of Truth“. Kennen Sie eigentlich Ihre „Moments of Truth“? Fragen Sie einfach mal Ihre Kunden!
Wenn wir mit Customer Journey Marketing starten wollen, steht am Anfang eine Bestandsaufnahme unserer Touchpoints. Wir sollten uns kritisch fragen: Wie leicht machen wir es den Kunden? Sind die Touchpoints z. B. leicht auffindbar? Wie gut sind sie gestaltet, erfüllen sie die Erwartungen? Haben wir die passenden Botschaften und Kanäle, um z. B. (1) Aufmerksamkeit zu wecken, (2) Interesse zu bestärken, (3) relevante Informationen für den Entscheidungsprozess zu liefern, (4) den Kauf oder Abschluss leicht zu machen und (5) die Nutzung mit Serviceangeboten zu unterstützen? Und sind diese Botschaften da, wo der Kunde sie auch erwartet?
Zu vielen Touchpoints liegen uns vermutlich Daten vor: Aus der Webanalyse, der Telefonhotline, dem Ad-Reporting, den sozialen Medien. Steigen Sie hier tiefer ein und nutzen Sie z. B. auch Kundenbefragungen, um noch mehr über Ihre Touchpoints zu erfahren.
Customer Journeys nachzeichnen und analysieren
Um zu verstehen, wie sich der Kunde entlang einer Journey bewegt, wie er mit unserer Marke/unserem Unternehmen interagiert und was er dabei erlebt, bietet sich ein Workshop zum Customer Journey Mapping an. Dabei erarbeiten wir in Teams typische Journeys und zeichnen sie auf. Das geht freihändig oder mit einem Mapping- Tool. Letzteres hat den Vorteil, dass es unsere Ergebnisse speichern und allen Mitarbeitern leicht zugänglich machen kann.
Hilfreich ist es, sich auf sogenannte Personas zu konzentrieren, prototypische Vertreter unserer Zielgruppe, die wir mit Hilfe von Eigenschaften, Merkmalen und Verhaltensweisen beschreiben. So können wir die Erlebniskette unserer Kunden plastisch greifbar machen: Was sucht oder braucht er in welcher Phase? Wo sucht er? Findet er, was er braucht? Wie ist sein Erlebnis dabei? Wohin führt der nächste Schritt? Usw.
Bei dieser Arbeit wird schon deutlich, wo Lücken bestehen oder Touchpoints inkonsistent sind. Wir können bereits Maßnahmen überlegen und Verantwortlichkeiten zuweisen. Das geht umso besser, je stärker die wichtigen Customer Journey allen Beteiligten präsent sind. Viele Marketingteams nutzen deshalb großformatige Visualisierungen, die als Poster in die Büros gehängt werden.
Herausragende Kundenerlebnisse planen
Auf dieser Basis können wir nun unsere Strategie erarbeiten, die Customer-Experience-Strategie. Dabei streben wir an, dem Kunden in allen Phasen seiner Journey, an jedem Touchpoint, herausragende und einzigartige Markenerlebnisse zu verschaffen, die genau zum Kundenbedürfnis passen.
Das ist umso leichter, je mehr Daten uns die Touchpoints zuspielen. Digitale Kanäle wie Suchmaschinen, Werbebanner, E-Mails oder Apps liefern uns bereits wertvolle Daten. Nutzen Sie beispielsweise Google Analytics? Messen Sie, ob Ihre Website definierten Ziele erreicht, z. B. ein Kaufabschluss oder eine Registrierung? Dann können Sie die Conversions genauer betrachten, also die Zielerreichung. Im Berichtsbereich Multichannel-Trichter erkennen Sie, welche Schritte die Nutzer gegangen sind, bevor sie das Ziel auf Ihrer Website abgeschlossen haben.
Zudem erhalten Sie Hinweise, welche Kanäle eher unterstützende Funktion haben und welche einen (Kauf-)abschluss unmittelbar initiieren, also die „Vollstrecker“ sind. Entsprechend können Sie die Optimierung der Kanäle in Angriff nehmen.
Customer Journeys in den wichtigen Kanälen managen
Für kleinere und mittelständische Unternehmen ist es eine gute Vorgehensweise, erst einmal mit einzelnen Kanälen zu beginnen. Beispielsweise mit automatisierten E-Mail-Kampagnen, die je nach Reaktion des Empfängers bestimmte Botschaften in Gang setzen: Wer hat das Mailing geöffnet, aber nichts geklickt? Wer hat auf einen Link geklickt, dann aber nichts gekauft? Je nachdem können Sie charmante Nachfass-Mails gestalten, die den Kunden unaufdringlich, aber zielgerichtet zum nächsten Schritt führen.
Wenn Sie mit Suchwortwerbung (z. B. Google AdWords) arbeiten, überlegen Sie, auf welche Zielseite Sie die Interessenten führen: Auf die Startseite Ihres Webauftritts? Keine gute Idee. Viel besser sind spezifische Landingpages für spezielle Suchintentionen. Dort sollten Sie die nächsten Schritte für den Kunden klar kommunizieren, gut sichtbar platzieren (die sog. Call-to-Action-Buttons) und Hürden eliminieren, z. B. durch Vertrauen stärkende Trust-Elemente.
Unentschlossene Seitenbesucher könnten Sie in eine Retargeting-Kampagne nehmen und mit Bannern auf anderen Websites oder per Facebook-Werbung erneut ansprechen. Dabei kommt es jedoch darauf an, das Retargeting klug zu staffeln und unbedingt den Eindruck zu vermeiden, der Kunde solle „gestalkt“ werden.
Solche Customer-Journey-Abfolgen innerhalb von Kanälen sind bereits sehr sinnvoll. Ein waschechtes Customer Journey Management beherrscht darüber hinaus die Kunst, viele Kanäle gleichzeitig zu tracken und kanalübergreifend zu bespielen. Und das so koordiniert, dass Kunden jeweils nur in einem, nämlich in ihrem bevorzugten Kanal angesprochen werden.
Kanalübergreifendes Customer Journey Management für Profils
Für ein kanalübergreifendes Customer Journey Management benötigen wir umfassende IT-Unterstützung. Zunächst gilt es, aus allen Kanälen Tracking-Daten einzusammeln, Nutzerverhalten zu erfassen und die Nutzer nicht nur beim Kanalwechsel wiederzuerkennen, sondern auch, wenn sie z. B. vom Notebook aufs Smartphone wechseln. Das alles selbstverständlich im Rahmen des Datenschutzes, der ja ab Mai 2018 durch die DSGVO hohe Hürden setzt.
Weiterhin brauchen wir eine Plattform, die alle relevanten (digitalen) Kanäle integriert, Steuerungs-Werkzeuge bereitstellt und Analysen liefert. Hier gibt es eine unübersichtliche Zahl an Anbietern, von schlanken Lösungen bis hin zur integrierten Systemlandschaft etwa unter SAP, Salesforce oder Oracle. Da hilft nur, sich umzuschauen und mit den Anbietern Anwendungsfälle durchzusprechen. Wer bereits erste Erfahrungen in einzelnen Kanälen gesammelt hat, ist im Vorteil. Denn er kann seine Anforderungen besser definieren und den Anbietern auf den Zahn fühlen.
Wer hier einsteigt, ist auf dem Weg zum Omnichannel Management. Das Denken in Customer Journeys wird zum Herzstück seines Marketings. Es klingt paradox, aber für ein Höchstmaß an Kundenverständnis und Individualisierung braucht es im digitalen Marketing ein Höchstmaß an Standardisierung und Technologie.
Der nette Waschmaschinenverkäufer, der mich beim Betreten seines Geschäfts einschätzt, der mir zuhört und auf meinen Bedarf eingeht, dieser empathische Verkäufer lässt sich in der digitalen Welt ein Stück weit nachbilden. Deshalb ist Customer Journey Management in meinen Augen kein IT-Thema. Sondern es geht um ein umfassendes, tiefes Kundenverständnis und den Anspruch, ihm bestmöglich gerecht zu werden.