Fast jedes Unternehmen will die Möglichkeiten des E-Commerce nutzen. Das gilt für Startups mit innovativer Geschäftsidee ebenso wie für etablierte Mittelständler, die einen zusätzlichen Vertriebskanal erschließen wollen – wenn sie es nicht sogar müssen, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber: Welche Voraussetzungen müssen für den Einstieg in den E-Commerce erfüllt sein? Und überhaupt: Wo soll man anfangen? Welche sind die typischen Entwicklungsschritte? Gibt es eine Blaupause für den Erfolg im Internet?
Einstieg in den E-Commerce für Mittelstand und Startups
Geschrieben von Lars Ax
Ziel dieses Fachbeitrags ist es, diese Fragen konkret zu beantworten, um Orientierung für den erfolgreichen Einstieg in den E-Commerce zu bieten, Chancen und Risiken aufzuzeigen und einen Überblick über die wichtigsten Begriffe und Konzepte im E-Commerce zu geben. So verirren Sie sich beim Einstieg in die digitale Handelswelt nicht in einem Dschungel an Fachbegriffen.
Strategische Vorüberlegungen
Dass durch das Internet eine radikal neue Situation für nahezu alle Lebensbereiche entstanden ist, steht außer Frage. Für Unternehmen und ihre Interaktion mit Interessenten und Kunden haben diese Veränderungen weitreichende Folgen: Durch das Internet ist es beispielsweise für Kunden nahezu aller Branchen erheblich leichter geworden, Angebote zu vergleichen. Gleichzeitig sind sinkende Transaktionskosten für Unternehmen spürbar. Aber auch Markteintrittsbarrieren für (neue) Wettbewerber werden niedriger.
Die Folge: Für etablierte Unternehmen tauchen scheinbar aus dem Nichts neue Wettbewerber auf, und es entsteht ein kurzfristiger „Innovationsdruck“, da sie den Anschluss nicht verlieren dürfen. Aus umgekehrter Perspektive ergeben sich durch diese erhöhte Wettbewerbsdynamik und durch das Aufbrechen etablierter Geschäftsmodelle vielfältige Chancen für Startups und für den Mittelstand.
Unabhängig von Unternehmensgröße oder Firmenalter gilt es für den erfolgreichen Einstieg in den E-Commerce, einige wichtige strategische Vorüberlegungen anzustellen:
- Eine E-Commerce-Strategie muss entwickelt werden. Wichtig vor allem für den Mittelstand: Die E-Commerce-Strategie muss im Einklang mit der Gesamtstrategie des Unternehmens und mit dem angebotenen Produkt- oder Serviceportfolio stehen.
- Aufbauend auf dieser Strategie sollten messbare Ziele definiert und mit einem Plan zur Zielerreichung hinterlegt werden, damit der finanzielle und personelle Aufwand eingeschätzt werden kann.
- Die Kommunikation der Angebote über digitale Kanäle muss auf die Bedürfnisse der Zielgruppe zugeschnitten sein – frei nach dem Motto: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“
- Die Aktivitäten der relevanten Wettbewerber müssen in strategischen Vorüberlegungen Berücksichtigung finden, und eventuelle „Gegenmaßnahmen“ sollten antizipiert werden.
Wenn diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind, werden nicht nur massiv (interne und externe) Ressourcen verschwendet, sondern das Projekt ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt. In anderen Worten: Das grundsätzliche Geschäftsmodell und einige übergeordnete strategische Eckpunkte müssen klar definiert sein, bevor man mit dem E-Commerce „einfach mal anfängt“.
Nun schließen sich die nächsten Fragen direkt an: Woher soll man wissen, welche der vielfältigen Möglichkeiten im E-Commerce für das eigene Unternehmen am besten funktionieren? Wie geht man mit der hohen Dynamik, den oftmals unklaren Schlagworten und dem ständigen Wandel um?
Wie nahezu in jeder Branche und bei jedem Geschäftsvorhaben gibt es kein universelles Patentrezept für erfolgreichen E-Commerce. Es gibt jedoch ein vielfach bewährtes Vorgehensmodell sowie einige organisatorische Voraussetzungen, die immer wieder den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen.
Auf den Punkt gebracht: Wer im E-Commerce erfolgreich sein will, muss ein E-Commerce-Unternehmen werden.
Ein E-Commerce-Unternehmen werden
Aufbauend auf der klar definierten Strategie und den messbaren Zielen gibt es drei wesentliche Erfolgsfaktoren für E-Commerce-Unternehmen:
- Ein auf die Erfordernisse des E-Commerce abgestimmtes Vorgehensmodell
- Basiswissen (im eigenen Hause, nicht extern!) über relevante Bausteine und ihre Wirkzusammenhänge
- Klarer Fokus bzw. Organisation und das Verständnis von E-Commerce als Top-Management-Thema.
1. Vorgehensmodell
Das hier skizzierte Vorgehensmodell dient zur Erreichung messbarer Ziele. In anderen Worten: Es stellt sicher, dass die notwendigen E-Commerce-Investitionen (d. h. der Einsatz interner und externer Ressourcen) sich auch lohnen.
A. Im ersten Schritt, dem Strategie-Workshop, werden alle Entscheidungsträger versammelt, um einen Konsens über die Vision und Strategie zu entwickeln. Entscheidend ist, dass konkrete und vor allem messbare Ziele vereinbart werden. Typische Ziele sind z. B. der Zuwachs an Geschäft (Absatz, Umsatz, Gewinn), Umsatzverteilung online vs. offline, Profitabilität nach Produktkategorien oder Kostenreduktionen durch effizientere Abwicklungsprozesse. Darauf aufbauend wird schließlich eine „Roadmap“ definiert, also ein sehr grober erster Zeitplan, der die wichtigsten Meilensteine bis zum Erreichen der strategischen Vision terminiert.
B. Erst wenn alle übergeordneten Fragen beantwortet sind, beginnt die Planung und Durchführung des eigentlichen Umsetzungsprojekts. Hier gilt es meist, sowohl organisatorische Veränderungen als auch technische Lösungen zu implementieren. Entscheidend ist dabei, dass der sogenannte „Lean-Gedanke“ (Lean = schlank) verinnerlicht wird. Dieses in der industriellen Fertigung schon lange bewährte Konzept erhielt in den letzten Jahren unter der Bezeichnung „Scrum“ ein neues Gesicht. Bei dieser Herangehensweise wird im ersten Schritt lediglich eine stabile, schlanke Einstiegsversion entwickelt, die man dann iterativ, lernend erweitert und verbessert. Sie hat den Vorteil, dass bereits frühzeitig sichtbar wird, was sich mit dem Projekt erreichen lässt, und dass es möglich ist, flexibel auf die Veränderung von Anforderungen zu reagieren. Gleichzeitig erfordert dieses Vorgehen eine enge (in vielen Fällen tägliche) Abstimmung der im Projekt beteiligten internen und externen Personen.
C. Zentral bei der Entwicklung dieses sogenannten Lean Launch ist die Etablierung von Messbarkeit. Dies geschieht in der Regel durch Einsatz eines Analysetools, in dem die wichtigsten zuvor definierten Zielgrößen in einem Cockpit für Entscheider zusammengetragen werden. Außerdem ist es wichtig darauf zu achten, dass die Einstiegsversion unter konsequenter Qualitätssicherung (d.h. durch automatisches und manuelles Testen auf allen relevanten Endgeräten) entwickelt wird, um den performanten Betrieb und die Erweiterbarkeit überhaupt erst zu ermöglichen.
D. Diese Messbarkeit, sowohl für Online- als auch für Offline-Maßnahmen, bietet nun wiederum die Grundlage für den Betrieb des Onlineshops und damit für „kontinuierliche Verbesserung“. Streng am Lean-Gedanken ausgerichtet, erfolgt die Weiterentwicklung und Optimierung iterativ in kleinen Schritten, begleitet von einer ständigen Erfolgsmessung: Es wird genau diejenige Maßnahme aus einer langen Liste von Ideen und Möglichkeiten priorisiert, die den größten „Return on Investment“ (ROI) verspricht.
2. Basiswissen
Wenn das oben beschriebene Vorgehensmodell verinnerlicht wurde, ist schon viel erreicht. Es lauert jedoch noch ein weiterer Fallstrick auf E-Commerce-Einsteiger: die Abhängigkeit von externen Dienstleistern. Es ist unbedingt erforderlich, Basiswissen für alle relevanten Bausteine im E-Commerce und ihre Wirkzusammenhänge im eigenen Unternehmen aufzubauen, um externe Dienstleister wie beispielsweise Grafiker, Programmierer, Marketing-Agenturen oder Texter zielgerichtet steuern und im Bedarfsfall auch austauschen zu können.
Im E-Commerce lassen sich grundsätzlich drei Aufgaben unterscheiden:
- A. Reichweite: Wie bringe ich meine Zielgruppe auf die geschaffene Online-Plattform?
- B. Konvertierung: Wie mache ich aus einem „Besucher“ meiner Seite einen „Käufer“?
- C. Abwicklung: Wie erfülle ich den Kundenauftrag effizient und schaffe eine hohe Kundenbindung?
Viele gängige Schlagworte lassen sich einer dieser drei Aufgaben zuordnen. Wir beschränken uns im Folgenden auf eine kurze Definition und die Einschätzung der Bedeutung des jeweiligen Themas für den typischen E-Commerce-Einstieg. Mit vielen dieser Themen befassen sich andere Beiträge separat.
Reichweite
Damit ein E-Commerce-Vorhaben zu den gewünschten Erfolgen führt, müssen Kunden und potenzielle Käufer zunächst auf das Angebot aufmerksam gemacht werden. Durch die Kommunikation von relevanten Themen für die jeweiligen Käuferzielgruppe(n) in einer möglichst großen Reichweite wird „Traffic“ für die E-Commerce-Plattform generiert.
Konvertierung
Möglichst viele Besucher auf die der E-Commerce-Plattform zu ziehen ist nur der erste Schritt, denn aus dem Besucher muss auch ein Käufer werden.
Abwicklung
E-Commerce endet nicht mit dem Klick auf den „Kaufen“-Button – im Gegenteil, ab diesem Moment geht es darum, den Auftrag (möglichst kosteneffizient) auszuführen, Kundenzufriedenheit immer weiter zu verbessern und möglichst feste Kundenbindung aufzubauen.
3. Organisation
Das beschriebene Basiswissen sollte in E-Commerce-Unternehmen an einer zentralen Stelle gebündelt werden: Bei Startups braucht der Geschäftsführer unbedingt Kenntnisse. Bei mittelständischen Unternehmen ist es wichtig, dass E-Commerce als sparten- und abteilungsübergreifendes Thema verstanden wird, idealerweise mit direkter Berichterstattung des E-Commerce-Direktors an die Geschäftsleitung. Nur auf diesem Wege kann sichergestellt werden, dass…
- …. neue Trends zielführend berücksichtigt werden,
- …. gleichzeitig aber nicht in irrelevante Optionen investiert wird,
- …. echte Ergebnisverantwortung für die Erreichung von E-Commerce-Zielen entsteht,
- …. sämtliche Potenziale für Absatzsteigerung und Kosteneinsparungen unternehmensübergreifend erkannt und gegeneinander priorisiert werden, und dass
- …. die E-Commerce-Aktivitäten insgesamt im Einklang mit der übergeordneten Unternehmensstrategie stehen.
Checkliste für E-Commerce-Unternehmen
Es zeigt sich, dass es insgesamt nur wenige Faktoren gibt, die regelmäßig über Erfolg und Misserfolg im E-Commerce entscheiden: Wie ist Ihr Unternehmen aufgestellt?
- Bei uns ist E-Commerce ein Top-Management-Thema.
- Wir haben breites Basiswissen für E-Commerce im Hause.
- Zielerreichung für Online-Aktivitäten wird konsequent gemessen.
- Wir lernen und verbessern uns kontinuierlich (Aktivitäten priorisiert nach ROI).
- Interne Prozesse werden rigoros auf Kundenbedürfnisse ausgerichtet.
- Wir reagieren flexibel, aber planvoll auf neue Trends.
Praxisbeispiele
Um den Einstieg in den E-Commerce für Sie noch greifbarer zu machen, stellen wir – natürlich stark verkürzt – zwei typische Szenarien für den Einstieg vor:
Best-Practice-Beispie B2C: E-Commerce eines Startups
Ein innovatives Produkt ist bereits am nordamerikanischen Markt erfolgreich. Das deutsche Startup „kopiert“ das Geschäftsmodell, hat bereits Lieferverträge mit Fernost abgeschlossen und möchte nun mit E-Commerce in Deutschland starten.
Das Gründerteam bringt ideale Voraussetzungen mit: Ein Betriebswirt und ein Informatiker teilen sich die Aufgaben in der Geschäftsleitung und verfügen als „Digital Natives“ beide über das nötige Basiswissen, so dass ein Großteil der Arbeit an einer E-Commerce-Plattform im ersten Schritt eigenhändig erledigt werden kann. Die Basisplattform entsteht sehr schlank als Mietlösung (Software as a Service, auch: SaaS). Als Analyselösung wird Google Analytics eingebettet, die Suchmaschinenwerbung wird mindestens einmal wöchentlich mit dem gemessenen tatsächlichen Nutzerverhalten abgeglichen und auf optimale Konvertierung optimiert.
Als Basisinvestition sind so lediglich einmalig 5.000 bis 20.000 € erforderlich, die monatlichen Betriebskosten für beispielsweise Webhosting und Shop-Miete liegen unter 500 € und als monatliches Budget werden 1.500 € bei Google Adwords in Suchmaschinenwerbung investiert.
Best-Practice-Beispiel B2B: E-Commerce im Mittelstand
Ein Spezialmaschinenbauer ist Marktführer in Europa und bereits seit 75 Jahren erfolgreich am Markt etabliert. Nun sollen im ersten Schritt Zubehörprodukte online verkauft werden, um die Vertriebsmannschaft zu entlasten.
Im Rahmen eines Strategie-Workshops werden Vision und messbare Ziele klar definiert. Im Anschluss wird die Entwicklung der ersten Version einer geschlossenen, nur für registrierte Großhändler zugänglichen B2B-Plattform geplant.
Allerdings erfordern komplexe interne Prozesse und Systeme den Einsatz eines Enterprise-E-Commerce-Systems: SAP ist im Einsatz als Warenwirtschaftssystem, Produktdaten wie Beschreibungen und Bilder werden in einem separaten System verwaltet, es gibt ein Content-Management-System, über das die Marketing-Abteilung Kampagnen steuert. Die Wahl fällt aufgrund der erforderlichen Erweiterbarkeit auf ein Open-Source-System, das aufgrund seiner großen Verbreitung und der sehr aktiven Entwickler-Community ein hohes Maß an Investitionssicherheit garantiert.
Im ersten Schritt werden jedoch neben Grundfunktionalität und der Etablierung von Messbarkeit nur wenige ausgewählte „Zusatzfeatures“ im Rahmen eines Lean Launches implementiert. Ab hier entscheidet ein regelmäßiger Steuerkreis (unter der Leitung des E-Commerce-Verantwortlichen) zahlenbasiert und zielgerichtet über weitere Investitionen für potenzielle Erweiterungen.
Für den Einstieg in den B2B-E-Commerce besteht typischerweise ein Investitionsbedarf von 100.000 bis 500.000 €. Die Betriebskosten für Wartung und Weiterentwicklung liegen monatlich bei ca. 5.000 bis 20.000 €.