Die ewige Frage des Online-Marketing: Wo bekomme ich meine Kunden her? Das Problem ist so alt wie die Geschäftswelt. Bei unserem Seminar „Kunden gewinnen“ in der IHK Offenbach sind wir in Vortrag Nummer 1 zu den Basics zurückgekehrt und haben uns erklären lassen, welche psychologischen Mechanismen Interessenten von Angeboten überzeugen. In Vortrag Nummer 2 ging es konkret darum, wo in unserer modernen digitalen Welt wir die Interessenten überhaupt herbekommen – und zwar mit System.
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Kunden gewinnen mit Gefühl und System
Geschrieben von Angelika Niere
„Und jetzt noch einmal mit Gefühl!“ – So beeinflussen Sie Websitebesucher zu Ihren Gunsten
Was denkt und fühlt der Kunde beim Kauf? Die meisten von uns wissen bereits, dass die Kaufentscheidung in der Regel keine rein logische Angelegenheit darstellt. Der typische Kunde wägt eben nicht sorgsam Kaufoptionen ab, geht innerliche Checklisten durch und entscheidet sich dann ganz rational für das beste Produkt – oft selbst dann nicht, wenn es sich für ihn so anfühlt, als hätte er genau das getan. Unsere Speakerin Anna Lena Marwedel von evobrain, Verhaltensbiologin und Neuroselling-Spezialistin klärte auf: „Das Gehirn ist kein Denkorgan, sondern ein fühlendes Organ, das denkt.“ Will heißen: Das Gehirn formt nicht einen Gedanken und schiebt dann das passende Gefühl hinterher. Sondern Gefühl und Gedanke sind eng miteinander verzahnt und effektiv eins.
Für das Marketing hat diese Erkenntnis erhebliche Konsequenzen. Einerseits, weil das, was wir beim Shoppen fühlen, unseren Kaufwillen beeinflusst: Wer gestresst ist, wird seltener seine Meinung ändern, weniger Angebote wahrnehmen, weniger kaufen und dabei auch weniger Geld ausgeben. Wer sich gerade freut, schätzt Produkte positiver ein, erhöht seine Konsum- und Zahlungsbereitschaft, agiert aber auch weniger risikofreudig, wenn die Möglichkeit eines Verlustgeschäfts besteht. Eingehender haben wir uns mit diesem Thema auch schon in älteren, aber nach wie vor aktuellen Blogartikeln beschäftigt: Emotional Webdesign und Was bedeutet User Experience?
Die andere Seite der Medaille: Die Präsentation der Dienstleistung oder des Produkts löst auch selbst Gefühle im Konsumenten aus – hoffentlich solche, die in Stimmung für den Kauf bringen. Marwedel nennt in ihrem Vortrag fünf konkrete Mechanismen, mit denen Sie den Kaufwillen der Websitebesucher zu Ihren Gunsten beeinflussen können:
- • Autorität: Von Unternehme(r)n mit Expertenstatus wird schneller gekauft. Haben Doctores an der Entwicklung des Produkts mitgewirkt? Erwähnen Sie es in der Produktbeschreibung. Existiert die Angebotsserie schon seit vierzig Jahren? Auch das erhöht im Auge des Kunden ihren Wert. Bereits das Tragen eines Anzugs oder Laborkittels (je nach Branche auch ein Fitnessanzug o.ä.) erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Verkäufer Erfolge verzeichnet – ein kleiner Trick, den Sie bei der Arbeit mit Bildern und Videos im Hinterkopf behalten können. Sehen die Personen darauf wie Experten aus?
- • Sympathie: Von sympathischen Menschen wird schneller gekauft, also auch von sympathischen Unternehmen und Webseiten. Überprüfen Sie, ob es möglich ist, mittels der Webseite einen konkreten Eindruck von Ihnen als Anbieter zu erhalten und ob er auf Ihre Zielgruppe sympathisch wirkt. Auch hierzu verweise ich auf einen früheren Beitrag: Ist Ihre Website faul?
- • Reziprozität: Das Gegenseitigkeitsprinzip habe ich kürzlich bei einem Schneider erlebt, der mir einen Saum kürzte und mich dann aus dem Laden scheuchte, ohne dass ich bezahlen durfte. Für so eine Kleinigkeit könne er unmöglich Geld annehmen, teilte er mir mit. Klar – da werde ich mich unterschwellig schuldig fühlen, bis ich Gelegenheit hatte, mit einem größeren Auftrag zu ihm zurückzukehren oder ihn zumindest weiterzuempfehlen. Denken Sie in Richtung Content Marketing – können Sie kostenfreie Goodies anbieten oder dem potentiellen Kunden sonstige Gefallen tun? Denken Sie an Social Media: Als Unternehmer sind Sie wahrscheinlich für irgendetwas Experte und können zur Stelle sein, wenn jemand eine schnelle Auskunft oder Unterstützung braucht.
- • Social Proof: Wenn es vielen Personen gefällt, muss es gut sein. Bereits so-und-so-viele Unternehmen nutzen Ihre Software? In Google-Rezensionen wurden Sie mit 4,9 Sternen bewertet? Auf Amazon rangiert Ihr Produkt unter den Top-10 seiner Kategorie, und auf Instagram haben sich über tausend Personen über das zugehörige Hashtag unterhalten? Warum steht das dann noch nicht in der Angebotsbeschreibung – oder zumindest in ihrer unmittelbaren Nähe? Im eigenen Onlineshop und bei ausreichendem Traffic können Sie dem Kunden natürlich auch die Möglichkeit geben, Produktbewertungen zu hinterlassen, die dann für sich sprechen.
- • Verknappung: Wer schon ein paar Marketingseminare besucht hat, kennt vielleicht das Keksexperiment: Wurden nur wenige Kekse auf einem Teller dargereicht, schätzten die Teilnehmer eines Versuchs sie als wohlschmeckender und hochwertiger ein als Kekse derselben Marke, die in größerer Menge zur Verfügung standen. Verknappung weckt Verlustangst. Gelungene Produktseiten geben Auskunft, wenn nur noch wenige Produkte vorrätig sind oder es sich um eine limitierte Auflage, wenn nicht gar ein Einzelstück handelt. Auch zeitlich begrenzte Angebote ziehen gut. Denken Sie an Plattformen, die Flüge oder Pauschalreisen anbieten und es nie versäumen, Sie daran zu erinnern, dass nur noch vier Plätze zur Verfügung stehen und zehn Besucher gerade dieses Angebot lesen und dass es sowieso nur noch acht Stunden lang gilt. Da kribbelt es den Interessenten gleich in den Fingern.
Angriff von Rechtsaußen – Lernen Sie Ihr digitales Spielfeld kennen
Aber wo kommt nun der Content her, den wir mit all unseren Tricks darstellen wollen? Glücklicherweise haben Onlineredakteure nicht das Problem der Romanautoren, die auf die sprichwörtliche leere Seite starren und nicht wissen, womit sie sie füllen sollen. Online-Marketing-Experte und Speaker unseres zweiten Vortrags Karl Kratz weist an: Bevor Sie überhaupt über Ihre zukünftigen Inhalte nachdenken, müssen Sie Ihr digitales Spielfeld kennenlernen.
Die meisten Unternehmen wissen, dass sie die richtigen Schlagwörter kennenlernen müssen, mithilfe derer potentielle Kunden auf Google nach einem Angebot wie dem ihren suchen. Diese Schlagwörter – bzw. Cluster von Schlagwörtern – müssen dann beworben werden. Doch damit erschöpft sich noch lange nicht der Aktionsrahmen, der ihnen eigentlich zur Verfügung steht. Definieren Sie außerdem:
- • Ihr Angebot stellt die Lösung für ein Problem des Kunden dar. Bewerben Sie nicht nur die Lösung – also Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung an sich –, sondern befassen Sie sich auch mit den verschiedenen Problemen, deren Lösung Ihr Produkt darstellen kann. Fragen Sie, welchem Bedarf das Problem zugrunde liegt und durch welche Ereignisse dieser Bedarf ausgelöst werden kann. In den allermeisten Fällen sind Unternehmen sich bei Weitem nicht aller möglichen Blickwinkel auf das eigene Angebot bewusst, so Kratz. Er empfiehlt die exzessive Lektüre von Produktrezensionen, von Forendiskussionen, Erörterungen, Umfrageergebnissen, von Support-E-Mails und den Präsentationen ähnlicher Produkte durch andere Anbieter. So erschließen sich teils verblüffende Perspektiven: beispielsweise die Anwendung von Honig für die Bekämpfung von Nagelpilz. Aber ebenso wichtig wie die Anwendungsmöglichkeiten von Produkten sind die unterschiedlichen Eigenschaften und Aspekte, die in Rezensionen wiederholt angesprochen werden. Konsistenz oder Geschmack des Produkts, sein Beitrag zur Gesundheit, sein Beitrag zum Umweltschutz etc. Diese Informationen stellen nicht nur wertvolle Hinweise auf bestehende und neue Zielgruppen dar, sondern helfen auch bei der Produktpräsentation. Sie erfahren auf diese Weise, welche Aspekte des Produkts es besonders hervorzuheben lohnt.
- • Jetzt kennen Sie die Interessen Ihrer potentiellen Zielgruppe und können recherchieren, auf welchen Websites und Plattformen sie zu finden sind, hinter welchen Hashtags sie sich verbergen. Kratz weist darauf hin, dass über Google hinaus tausende Suchplattformen existieren, die sich auf bestimmte Interessengebiete spezialisieren. Beispiel: ecosia.org. Ecosia wirbt damit, dass seine Gewinne für den Klimaschutz eingesetzt werden und der Strom für seine Server aus der hauseigenen Solaranlage zieht. Nutzer dieser Suchmaschine tendieren dazu, sich für alles zu interessieren, was die Natur schützt und die Gesundheit fördert, und Kratz zufolge kostet das Schalten von Werbeanzeigen dort nur einen Bruchteil dessen, was für Google Ads investiert werden müsste.
Auf diese Weise definieren Sie Suchsysteme, also die möglichen Wege, über die ein zukünftiger Kunde zu Ihnen finden könnte. Sie sehen sich alle Perspektiven auf Ihr Produkt, also all Ihre potentiellen Themen – auslösendes Ereignis, erzeugter Bedarf, Problem, Lösung – auf jeder Ihrer Besucherquellen an. Kratz empfiehlt jedem Unternehmen, über eine Amazonstrategie nachzudenken, egal ob er dort etwas anbietet. Wer ein gesundes Nahrungsmittel vertreibt, könnte einen E-Book-Ratgeber veröffentlichen, der Ernährungstipps gibt und dabei eben auch an geeigneter Stelle sein Produkt bespricht.
Im Resultat können Sie ableiten, welche Art von Content wo Sinn ergibt. Sie sehen, welche Inhalte Sie wo brauchen und welche Werbemittel sie einsetzen müssen. Natürlich müssen Sie nicht Ihr gesamtes digitales Spielfeld bespielen. Vielmehr sehen Sie jetzt den gesamten Aktionsrahmen vor sich, der Ihnen zur Verfügung steht, und können gezielte Strategien und Taktiken erarbeiten, die zu Ihren Zielen und Ihrem Budget passen. Das hat zwei Vorteile: Erstens reduzieren Sie so Ihre Abhängigkeiten von einzelnen Bedarfsgruppen und Traffic-Quellen. Fällt ein Standbein weg, bricht Ihr Marketing nicht zusammen. Und zweitens können Sie sich so einen sehr klaren Überblick darüber verschaffen, wo und wie die Konkurrenz vorgeht. Sie können mit gezielten Maßnahmen die Vorherrschaft über Teile des Spielfelds behalten, bei Vorstößen des „Gegners“ zeitnah intervenieren und Verluste kompensieren. Das erfordert natürlich, dass Sie Ihr digitales Spielfeld mittels systematischen Monitorings im Auge behalten.
Die größte Herausforderung ist und bleibt Kratz zufolge jedoch die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln – aus Sicht der verschiedenen Kundengruppen auf das Produkt zu sehen, ihnen dann das Produkt passgenau zu präsentieren, aber auch die Perspektive des Kunden zu verändern, so dass er es ist, der das Angebot in einem ganz neuen Licht sieht. Womit wir wieder bei der emotionalen und ansprechenden Produktpräsentation wären, um die es oben ging.